Dritter Aufzug

 

Erste Szene

Burggarten.
Zur einen Seite hohe Burggebäude, zur andern eine niedrige Mauerbrüstung, von einer Warte unterbrochen; im Hintergrunde das Burgtor. Die Lage ist auf felsiger Höhe anzunehmen; durch Öffnungen blickt man auf einen weiten Meereshorizont. Das Ganze macht den Eindruck der Herrenlosigkeit, übel gepflegt, hie und da schadhaft und bewachsen. Im Vordergrunde, an der inneren Seite, liegt Tristan, unter dem Schatten einer großen Linde, auf einem Ruhebett schlafend, wie leblos ausgestreckt. Zu Häupten ihm sitzt Kurwenal, in Schmerz über ihn hingebeugt und sorgsam seinem Atem lauschend. - Von der Außenseite hört man einen Hirtenreigen geblasen.

 Q 

Tristan, Kurwenal

 
Der Hirt erscheint mit dem Oberleibe über der Mauerbrüstung und blickt teilnehmend herein.

<- Hirt

 

HIRT

(leise)  

Kurwenal! He!

Sag, Kurwenal!

Hör doch, Freund! -

(Kurwenal wendet ein wenig das Haupt nach ihm.)

Wacht er noch nicht?

KURWENAL

(schüttelt traurig mit dem Kopf)

Erwachte er,

wär's doch nur

um für immer zu verscheiden,

erschien zuvor

die Ärztin nicht,

die einz'ge, die uns hilft.

Sahst du noch nichts?

Kein Schiff noch auf der See? -

HIRT

Eine andre Weise

hörtest du dann,

so lustig, als ich sie nur kann. -

Nun sag auch ehrlich,

alter Freund:

was hat's mit uns'rem Herrn?

KURWENAL

Laß die Frage; -

du kannst's doch nie erfahren. -

Eifrig späh',

und siehst du ein Schiff,

so spiele lustig und hell!

HIRT

(sich wendet und mit der Hand über'm Auge, nach dem Meer spähend)

Öd und leer das Meer! -

(Er setzt die Schalmei an den Mund und entfernt sich blasend.)

Hirt ->

 

TRISTAN

(nach langem Schweigen, ohne Bewegung, dumpf)  

Die alte Weise -

was weckt sie mich?

(Die Augen aufschlagend und das Haupt wendend)

Wo bin ich?

KURWENAL

(fährt erschrocken auf)

Ha! - diese Stimme!

Seine Stimme!

Tristan! Herre!

Mein Held! Mein Tristan!

TRISTAN

(mit Anstrengung)

Wer - ruft mich?

KURWENAL

Endlich! Endlich!

Leben, o Leben -

Süßes Leben -

meinem Tristan neu gegeben!

TRISTAN

(ein wenig auf dem Lager sich erhebend, matt)

Kurwenal - du?

Wo war ich? -

Wo - bin ich?

KURWENAL

Wo du bist?

In Frieden, sicher und frei!

Kareol, Herr:

kennst du die Burg

der Väter nicht?

TRISTAN

Meiner Väter?

KURWENAL

Sieh dich nur um!

TRISTAN

Was erklang mir?

KURWENAL

Des Hirten Weise,

hörtest du wieder;

am Hügel ab

hütet er deine Herde.

TRISTAN

Meine Herde?

KURWENAL

Herr, das mein' ich!

Dein das Haus,

Hof und Burg!

Das Volk, getreu

dem trauten Herrn,

so gut es konnt',

hat's Haus und Hof gepflegt,

das einst mein Held

zu Erb' und Eigen

an Leut' und Volk verschenkt,

als Alles er verließ,

in fremde Land' zu ziehn.

TRISTAN

In welches Land?

KURWENAL

Hei! Nach Kornwall:

kühn und wonnig,

was sich da Glanzes,

Glückes und Ehren

Tristan, mein Held, hehr ertrotzt!

TRISTAN

Bin ich in Kornwall?

KURWENAL

Nicht doch: in Kareol!

TRISTAN

Wie kam ich her?

KURWENAL

Hei nun, wie du kamst?

Zu Roß rittest du nicht;

ein Schifflein führte dich her;

doch zu dem Schifflein

hier auf den Schultern

trug ich dich: die sind breit,

sie trugen dich dort zum Strand. -

 

Nun bist du daheim, daheim zu Land:  

im echten Land,

im Heimat-Land,

auf eig'ner Weid' und Wonne,

im Schein der alten Sonne,

darin von Tod und Wunden

du selig sollst gesunden.

(Er schmiegt sich an Tristans Brust.)

 

TRISTAN

(nach einem kleinen Schweigen)  

Dünkt dich das, -

ich weiß es anders,

doch kann ich's dir nicht sagen.

Wo ich erwacht,

weilt' ich nicht;

doch, wo ich weilte,

das kann ich dir nicht sagen.

Die Sonne sah ich nicht,

noch sah ich Land und Leute:

doch, was ich sah -

das kann ich dir nicht sagen.

Ich war -

wo ich von je gewesen,

wohin auf je ich geh:

im weiten Reich

der Welten Nacht.

Nur ein Wissen

dort uns eigen:

göttlich ew'ges

Ur-Vergessen, -

wie schwand mir seine Ahnung?

Sehnsücht'ge Mahnung,

nenn ich dich,

die neu dem Licht

des Tags mich zugetrieben?

Was einzig mir geblieben,

ein heiß-inbrünstig Lieben,

aus Todes Wonne-Grauen

jagt's mich, das Licht zu schauen,

das trügend hell und golden

noch dir, Isolden, scheint!

 
(Kurwenal birgt, von Grausen gepackt, sein Haupt.)
 

 

(allmählich sich immer mehr aufrichtend)

Isolde noch

im Reich der Sonne!

Im Tagesschimmer

noch Isolde!

Welches Sehnen,

welches Bangen,

sie zu sehen

welch Verlangen!

Krachend hört' ich

hinter mir

schon des Todes

Tor sich schließen:

weit nun steht es

wieder offen,

der Sonne Strahlen

sprengt' es auf:

mit hell erschloss'nen Augen

muß ich der Nacht enttauchen, -

sie zu suchen,

sie zu sehen,

sie zu finden,

in der einzig

zu vergehen,

zu entschwinden

Tristan ist vergönnt.

Weh, nun wächst,

bleich und bang

mir des Tages

wilder Drang!

Grell und täuschend

sein Gestirn

weckt zu Trug

und Wahn mir das Hirn!

Verfluchter Tag

mit deinem Schein!

Wach'st du ewig

meiner Pein?

Brennt sie ewig,

diese Leuchte,

die selbst Nachts

von ihr mich scheuchte!

Ach, Isolde,

Süße! Holde!

Wann - endlich,

wann, ach wann?

löschest du die Zünde,

(Immer mehr ermattend)

daß sie mein Glück mir künde?

Das Licht - wann löscht es aus?

(Er sinkt erschöpft leise zurück)

Wann wird es Ruh im Haus?

KURWENAL

(nach großer Erschütterung aus der Niedergeschlagenheit sich aufraffend)

Der einst ich trotzt,

aus Treu' zu dir,

mit dir nach ihr

nun muß ich mich sehnen.

Glaub meinem Wort,

du sollst sie sehen,

hier ─ und heut ─

den Trost kann ich dir geben,

ist sie nur selbst noch am Leben.

TRISTAN

(sehr matt)

Noch losch das Licht nicht aus,

noch ward's nicht Nacht im Haus.

Isolde lebt und wacht,

sie rief mich aus der Nacht.

KURWENAL

Lebt sie denn,

so laß dir Hoffnung lachen. -

Muß Kurwenal dumm dir gelten,

heut sollst du ihn nicht schelten.

Wie tot lagst du

seit dem Tag,

da Melot, der Verruchte

dir eine Wunde schlug.

Die böse Wunde,

wie sie heilen?

Mir tör'gem Manne

dünkt es da,

wer einst dir Morolds

Wunde schloß,

der heilte leicht die Plagen

von Melots Wehr geschlagen.

Die beste Ärztin

bald ich fand;

nach Kornwall hab ich

ausgesandt:

ein treuer Mann

wohl übers Meer

bringt dir Isolden her.

TRISTAN

(außer sich)

Isolde kommt!

Isolde naht! -

(Er ringt gleichsam nach Sprache)

O Treue! hehre,

holde Treue!

(Er zieht Kurwenal an sich und umarmt ihn)

Mein Kurwenal,

du trauter Freund!

Du Treuer ohne Wanken,

wie soll dir Tristan danken?

Mein Schild, mein Schirm,

im Kampf und Streit,

zu Lust und Leid

mir stets bereit:

wen ich gehaßt,

den haßtest du;

wen ich geminnt,

den minntest du.

Dem guten Marke,

dient' ich ihm hold,

wie warst du ihm treuer als Gold!

Mußt ich verraten

den edlen Herrn,

wie betrog'st du ihn da so gern!

Dir nicht eigen,

einzig mein,

mit leidest du,

wenn ich leide:

nur - was ich leide,

das - kannst du nicht leiden!

Dies furchtbare Sehnen,

das mich sehrt;

dies schmachtende Brennen,

das mich zehrt:

wollt ich dir's nennen,

könntest du's kennen, -

nicht dort würdest du weilen;

zur Warte müßtest du eilen, -

mit allen Sinnen

sehnend von hinnen

nach dorten trachten und spähen,

wo ihre Segel sich blähen,

wo vor den Winden,

mich zu finden,

von der Liebe Drang befeuert,

Isolde zu mir steuert! -

Es naht! Es naht

mit mutiger Hast!

Sie weht, sie weht -

die Flagge am Mast.

Das Schiff, Das Schiff!

Dort streicht es am Riff!

Sieh'st du es nicht?

(Heftig)

Kurwenal! Siehst du es nicht?

 
(Da Kurwenal, um Tristan nicht zu verlassen, zögert und dieser in schweigender Spannung auf ihn blickt, ertönt, wie zu Anfang, näher, dann ferner, die klagende Weise des Hirten.)
 

KURWENAL

(niedergeschlagen)

Noch ist kein Schiff zu sehn!

TRISTAN

(hat mit abnehmender Aufregung gelauscht und beginnt nun mit wachsender Schwermut)

Muß ich dich so verstehn,

du alte, ernste Weise,

mit deiner Klage Klang? -

Durch Abendwehen

drang sie bang,

als einst dem Kind

des Vaters Tod verkündet:

durch Morgengrauen

bang und bänger,

als der Sohn

der Mutter Los vernahm.

Da er mich zeugt' und starb,

sie sterbend mich gebar,

die alte Weise

sehnsuch-tbang

zu ihnen wohl

auch klagend drang,

die einst mich frug,

und jetzt mich frägt,

zu welchem Los erkoren,

ich damals wohl geboren?

Zu welchem Los? -

Die alte Weise

sagt mir's wieder: -

mich sehnen - und sterben!

Nein! Ach nein!

So heißt sie nicht:

Sehnen! Sehnen!

Im Sterben mich zu sehnen,

vor Sehnsucht nicht zu sterben! -

Die nie erstirbt,

sehnend nun ruft

um Sterbens Ruh

sie der fernen Ärztin zu. -

Sterbend lag ich

stumm im Kahn,

der Wunde Gift,

dem Herzen nah:

Sehnsucht klagend

klang die Weise;

das Segel blähte der Wind

hin zu Irlands Kind.

Die Wunde, die

sie heilend schloß,

riß mit dem Schwert

sie wieder los;

das Schwert dann aber

ließ sie sinken,

den Gifttrank gab sie

mir zu trinken;

wie ich da hoffte,

ganz zu genesen,

da war der sehrendste

Zauber erlesen,

daß nie ich sollte sterben,

mich ew'ger Qual vererben!

Der Trank! Der Trank!

Der furchtbare Trank!

Wie vom Herz zum Hirn

er wütend mir drang!

Kein Heil nun kann,

kein süßer Tod

je mich befrei'n

von der Sehnsucht Not.

Nirgends, ach nirgends

find' ich Ruh:

mich wirft die Nacht

dem Tage zu,

um ewig an meinen Leiden

der Sonne Auge zu weiden.

O dieser Sonne

sengender Strahl,

wie brennt mir das Hirn

seine glühende Qual!

Für dieser Hitze

heißes Verschmachten,

ach! keines Schattens

kühlend Umnachten!

Für dieser Schmerzen

schreckliche Pein,

welcher Balsam sollte

mir Lind'rung verleih'n?

Den furchtbaren Trank,

der der Qual mich vertraut,

ich selbst, ich selbst,

ich hab' ihn gebraut!

Aus Vaters-Not

und Mutter-Weh,

aus Liebestränen

eh und je,

aus Lachen und Weinen,

Wonnen und Wunden,

hab' ich des Trankes

Gifte gefunden!

Den ich gebrau't,

der mir geflossen,

den Wonne-schlürfend

je ich genossen, -

verflucht sei, furchtbarer Trank!

Verflucht, wer dich gebraut!

(Er sinkt ohnmächtig zurück.)

KURWENAL

(der vergebens Tristan zu mäßigen suchte, schreit entsetzt laut auf)

Mein Herre! Tristan!

Schrecklicher Zauber! -

O Minne-Trug!

O Liebes-Zwang!

Der Welt holdester Wahn,

Wie ist's um dich getan! -

Hier liegt er nun,

der wonnige Mann,

der wie keiner geliebt und geminnt!

Nun seht, was von ihm

sie Dankes gewann,

was je Minne je gewinnt!

(Mit schluchzender Stimme)

Bist du nun tot?

Lebst du noch?

Hat dich der Fluch entführt? -

(Er lauscht seinem Atem.)

O Wonne! Nein!

Er regt sich, er lebt! -

(zart)

Wie sanft er die Lippen rührt!

TRISTAN

(langsam wieder zu sich kommend)

Das Schiff? - sieh'st du's noch nicht?

KURWENAL

Das Schiff? Gewiß,

es naht noch heut':

es kann nicht lang mehr säumen.

TRISTAN

Und drauf Isolde,

wie sie winkt -

wie sie hold

mir Sühne trinkt?

siehst du sie?

Siehst du sie noch nicht?

Wie sie selig,

hehr und milde

wandelt durch

des Meers Gefilde?

Auf wonniger Blumen

lichten Wogen

kommt sie sanft

ans Land gezogen:

Sie lächelt mir Trost

und süße Ruh;

sie führt mir letzte

Labung zu.

Isolde! Ach, Isolde,

wie schön bist du! -

Und Kurwenal, wie?

du sähst sie nicht?

Hinauf zur Warte,

du blöder Wicht,

Was so hell und licht ich sehe,

daß das dir nicht entgehe.

Hörst du mich nicht?

Zur Warte schnell!

Eilig zur Warte!

Bist du zur Stell'?

Das Schiff, das Schiff?

Isoldens Schiff -

Du mußt es sehen,

Mußt es sehen!

Das Schiff? Sähst du's noch nicht?

 
(Während Kurwenal noch zögernd mit Tristan ringt, läßt der Hirt von außen die Schalmei ertönen.)
 

KURWENAL

(freudig aufspringend und der Warte zueilend)

O Wonne! Freude!

Ha! Das Schiff!

Von Norden seh ich's nahn.

TRISTAN

(mit wachsender Begeisterung)

Wußt ich's nicht?

Sagt ich's nicht?

Daß sie noch lebt,

noch Leben mir webt?

Die mir Isolde

einzig enthält,

wie wär Isolde

mir aus der Welt?

KURWENAL

(von der Warte zurückrufend, jauchzend)

Hahei! Heiha!

Wie es mutig steuert!

Wie stark das Segel sich bläht!

Wie es jagt, wie es fliegt!

TRISTAN

Die Flagge? Die Flagge?

KURWENAL

Der Freude Flagge

am Wimpel lustig und hell.

TRISTAN

(auf dem Lager hoch sich aufrichtend)

Hahei der Freude!

Hell am Tage

zu mir Isolde,

Isolde zu mir! -

Siehst du sie selbst?

KURWENAL

Jetzt schwand das Schiff

hinter dem Fels.

TRISTAN

Hinter dem Riff?

Bringt es Gefahr?

Dort wütet die Brandung,

scheitern die Schiffe. -

Das Steuer, wer führt's?

KURWENAL

Der sicherste Seemann.

TRISTAN

Verriet er mich?

Wär er Melots Genoß?

KURWENAL

Trau ihm wie mir!

TRISTAN

Verräter auch du! -

Un-seliger!

Siehst du sie wieder?

KURWENAL

Noch nicht.

TRISTAN

Verloren!

KURWENAL

(jauchzend)

Heiha! Heihahaha!

Vorbei! Vorbei!

Glücklich vorbei!

TRISTAN

(jauchzend)

Heihahaha! Kurwenal!

treuester Freund!

All mein Hab und Gut

vererb ich noch heute.

KURWENAL

Sie nahen im Flug.

TRISTAN

Sieh'st du sie endlich?

Sieh'st du Isolde?

KURWENAL

Sie ist's! Sie winkt!

TRISTAN

O seligstes Weib!

KURWENAL

Im Hafen der Kiel!

Isolde - ha!

mit einem Sprung

springt sie vom Bord an Land.

TRISTAN

Herab von der Warte!

müßiger Gaffer!

Hinab! Hinab

an den Strand!

Hilf ihr! Hilf meiner Frau!

KURWENAL

Sie trag' ich herauf:

trau meinen Armen!

Doch du, Tristan,

bleib mir treulich am Bett!

 
(Kurwenal eilt durch das Tor hinab.)

Kurwenal ->

 

Zweite Szene

 

TRISTAN

(in höchster Aufregung auf dem Lager sich mühend)  

O diese Sonne!

Ha! dieser Tag!

Ha, dieser Wonne

sonnigster Tag!

Jagendes Blut,

jauchzender Mut!

Lust ohne Maßen,

freudiges Rasen:

Auf des Lagers Bann

wie sie ertragen?

Wohlauf und daran,

wo die Herzen schlagen!

Tristan, der Held,

in jubelnder Kraft,

hat sich vom Tod

emporgerafft!

(Er richtet sich hoch auf.)

Mit blutender Wunde

bekämpft' ich einst Morolden:

mit blutender Wunde

erjag' ich mir heut Isolden!

(Er reißt sich den Verband der Wunde auf.)

Heia, mein Blut,

Lustig nun fließe!

(Er springt vom Lager herab und schwankt vorwärts.)

Die mir die Wunde

ewig schließe,

sie naht wie ein Held,

sie naht mir zum Heil:

Vergeh die Welt

meiner jauchzenden Eil!

(Er taumelt nach der Mitte der Bühne.)

S

 

ISOLDE

(von außen rufend)  

Tristan! Geliebter!

TRISTAN

(in der furchtbarsten Aufregung)

Wie, hör' ich das Licht?

Die Leuchte - ha!

Die Leuchte verlischt!

Zu ihr! Zu ihr!

 
Isolde eilt atemlos herein. Tristan, seiner nicht mächtig, stürzt sich ihr schwankend entgegen. In der Mitte der Bühne begegnen sie sich; sie empfängt ihn in ihren Armen. - Tristan sinkt langsam in ihren Armen zu Boden.

<- Isolde

 

ISOLDE

Tristan! Ha!  

TRISTAN

(sterbend zu ihr aufblickend)

Isolde! -

(Er stirbt.)

ISOLDE

Ha! Ich bin's, ich bin's -,

süßester Freund!

Auf! noch einmal

Hör meinen Ruf!

Isolde ruft:

Isolde kam,

mit Tristan treu zu sterben. -

Bleibst du mir stumm?

Nur eine Stunde. -

Nur eine Stunde

bleib mir wach!

So bange Tage

wachte sie sehnend,

um eine Stunde

mit dir noch zu wachen.

Betrügt Isolden,

betrügt sie Tristan

um dieses einz'ge

ewig kurze

letzte Welten-Glück? -

Die Wunde - wo?

Laß sie mich heilen,

daß wonnig und hehr

die Nacht wir teilen.

Nicht an der Wunde,

an der Wunde stirb mir nicht!

uns beiden vereint

erlösche das Lebenslicht! -

Gebrochen der Blick -!

Still das Herz! -

Nicht eines Atems

flücht'ges Wehn!

Muß sie nun jammernd

vor dir stehn,

die sich wonnig dir zu vermählen

mutig kam über's Meer?

Zu spät!

Trotziger Mann!

Strafst du mich so

mit härtestem Bann?

Ganz ohne Huld

meiner Leidens-Schuld?

Nicht meine Klagen

darf ich dir sagen?

Nur einmal, ach!

nur einmal noch! -

Tristan! - Ha!

Horch! - Er wacht!

Geliebter. -

 
(Sie sinkt bewußtlos über der Leiche zusammen.)
 

Dritte Szene

Kurwenal war sogleich hinter Isolde zurückgekommen; sprachlos in furchtbarer Erschütterung hat er dem Auftritte beigewohnt, und bewegungslos auf Tristan hingestarrt. - Aus der Tiefe hört man jetzt dumpfes Getümmel und Waffengeklirr. -

<- Kurwenal

 
Der Hirt kommt über die Mauer gestiegenhastig und leise sich zu Kurwenal wendend.

<- Hirt

 

HIRT

Kurwenal!  

Hör!

Ein zweites Schiff.

 
(Kurwenal fährt heftig auf und blickt über die Brüstung, während der Hirt aus der Ferne erschüttert auf Tristan und Isolde sieht.)
 

KURWENAL

Tod und Hölle!

(In Wut ausbrechend)

Alles zur Hand!

Marke und Melot

hab' ich erkannt. -

Waffen und Steine!

Hilf mir! Ans Tor!

(Er sprigt mit dem Hirt an das Tor, das Feide in der Hast zu verrammeln suchen)

 

<- Steuermann

STEUERMANN

(stürzt herein)  

Marke mir nach

mit Mann und Volk!

Vergebne Wehr!

Bewältigt sind wir.

KURWENAL

Stell dich, und hilf! -

So lang ich lebe,

lugt mir keiner herein!

BRANGÄNE
(stimme)

(außen, von unten her)

Isolde! Herrin!

KURWENAL

Brangänens Ruf?

(Hinabrufend)

Was suchst du hier?

BRANGÄNE

Schließ nicht, Kurwenal!

Wo ist Isolde?

KURWENAL

Verrät'rin auch du?

Weh dir, Verruchte!

MELOT

(von außen)

Zurück, du Tor!

Stemm dich nicht dort!

KURWENAL

(wütend auflachend)

Heiahaha! dem Tag,

an dem ich dich treffe!

 
Melot, mit gewaffneten Männern, erscheint unter dem Tor. Kurwenal stürzt sich auf ihn und streckt ihn zu Boden. Stirb, schändlicher Wicht!

<- Melot, gewaffneten Männern

 

KURWENAL

Stirb, schändlicher Wicht!  

MELOT

(sterbend)

Weh mir! - Tristan!

BRANGÄNE

(immer noch außen)

Kurwenal! Wütender!

Hör, du betrügst dich!

KURWENAL

Treulose Magd! -

(Zu den Seinen.)

Drauf! Mir nach!

Werft sie zurück!

(Sie kämpfen)

MARKE

(von außen)

Halte, Rasender!

Bist du von Sinnen?

KURWENAL

Hier wütet der Tod!

Nichts andres, König,

ist hier zu holen:

willst du ihn kiesen, so komm!

(Er dringt auf Marke und dessen Gefolge ein.)

 

<- Marke, Gefolge

MARKE

(unter dem Tore mit Gefolge erscheinend)

Zurück! Wahnsinniger!

 

<- Brangäne

BRANGÄNE

(hat sich seitwärts über die Mauer geschwungen und eilt in den Vordergrund.)  

Isolde! Herrin!

Glück und Heil! -

Was seh ich, ha!

Lebst du? Isolde!

 
(Sie stürzt auf Isolde, und müht sich um sie. - Wärend dem hat Marke mit seinem Gefolge Kurwenal mit dessen Helfern zurückgetrieben, und dringt herein. Kurwenal, schwer verwundet, schwankt vor ihm her nach dem Vordergrunde.)
 

MARKE

O Trug und Wahn!

Tristan! Wo bist du?

KURWENAL

Da liegt er -

hier - wo ich - liege.

(Er sinkt bei Tristans Füßen zusammen.)

MARKE

Tristan! Tristan!

Isolde! Weh!

KURWENAL

(nach Tristans Hand fassend)

Tristan! Trauter!

Schilt mich nicht,

daß der Treue auch mit kommt!

(Er stirbt.)

MARKE

Tot denn alles!

Alles tot?

Mein Held! Mein Tristan!

Trautester Freund!

Auch heute noch

mußt du den Freund verraten?

Heut, wo er kommt

die höchste Treu' zu bewähren?

Erwache! Erwache!

Erwache meinem Jammer,

(Schluchzend über die Leiche sich herabbeugend.)

Du treulos treuster Freund!

BRANGÄNE

(die in ihren Armen Isolde wieder zu sich gebracht)

Sie wacht! Sie lebt!

Isolde! Hör mich,

vernimm meine Sühne!

Des Trankes Geheimnis

entdeckt' ich dem König:

mit sorgender Eil'

stach er in See

dich zu erreichen,

dir zu entsagen,

dir zuzuführen den Freund.

MARKE

Warum, Isolde,

warum mir das?

Da hell mir enthüllt,

was zuvor ich nicht fassen konnt',

wie selig, daß den Freund

ich frei von Schuld da fand!

Dem holden Mann,

dich zu vermählen,

mit vollen Segeln

flog ich dir nach.

Doch Unglückes

Ungestüm,

wie erreicht es, wer Frieden bringt?

Die Ernte mehrt' ich dem Tod:

der Wahn häufte die Not.

BRANGÄNE

Hörst du uns nicht?

Isolde! Traute!

Vernimmst du die Treue nicht?

 

ISOLDE

(Die nichts um sie her vernommen, heftet das Auge mit wachsender Begeisterung auf Tristans Leiche.)  

Mild und leise

wie er lächelt,

wie das Auge

hold er öffnet:

seht ihr's, Freunde,

säht ihr's nicht?

Immer lichter

wie er leuchtet,

Stern-umstrahlet

hoch sich hebt?

Seht ihr's nicht?

Wie das Herz ihm

mutig schwillt,

voll und hehr

im Busen ihm quillt?

Wie den Lippen,

wonnig mild

süßer Atem

sanft entweht: -

Freunde, seht -

fühlt und seht ihr's nicht? -

Höre ich nur

diese Weise,

die so wunder-

voll und leise,

Wonne klagend,

Alles sagend,

mild versöhnend

aus ihm tönend

in mich dringet,

auf sich schwinget,

hold erhallend

um mich klinget?

Heller schallend,

mich umwallend,

sind es Wellen

sanfter Lüfte?

Sind es Wolken

wonniger Düfte?

Wie sie schwellen,

mich umrauschen,

soll ich atmen,

soll ich lauschen?

Soll ich schlürfen,

untertauchen?

Süß in Düften

mich verhauchen?

In dem wogenden Schwall,

in dem tönenden Schall,

in des Welt-Athems

wehendem All -

ertrinken -

versinken -

unbewußt -

höchste Lust!

Sfondo schermo () ()

S

 
Isolde verklärt sinkt sie sanft in Brangänes Armen, auf Tristans Leiche. - Große Rührung und Entrücktheit unter den Umstehenden. Marke segnet die Leichen. - Der Vorhang fällt langsam.
 

Ende (Dritter Aufzug)

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Burggarten. Zur einen Seite hohe Burggebäude, zur andern eine niedrige Mauerbrüstung, von einer Warte unterbrochen; im Hintergrunde das Burgtor. Die Lage ist auf felsiger Höhe anzunehmen; durch Öffnungen blickt man auf einen weiten Meereshorizont. Das Ganze macht den Eindruck der Herrenlosigkeit, übel gepflegt, hie und da schadhaft und bewachsen.

Tristan, Kurwenal
 
Tristan, Kurwenal
<- Hirt

Kurwenal! He!

Tristan, Kurwenal
Hirt ->

Die alte Weise

Dünkt dich das

Tristan
Kurwenal ->

Tristan! Geliebter!

Tristan
<- Isolde

Tristan! Ha! / Isolde!

Tristan, Isolde
<- Kurwenal
Tristan, Isolde, Kurwenal
<- Hirt

Kurwenal! Hör!

Tristan, Isolde, Kurwenal, Hirt
<- Steuermann

Marke mir nach

Tristan, Isolde, Kurwenal, Hirt, Steuermann
<- Melot, gewaffneten Männern

Stirb, schändlicher Wicht!

Tristan, Isolde, Kurwenal, Hirt, Steuermann, Melot, gewaffneten Männern
<- Marke, Gefolge

Tristan, Isolde, Kurwenal, Hirt, Steuermann, Melot, gewaffneten Männern, Marke, Gefolge
<- Brangäne

Isolde! Herrin!

 
Erste Szene Zweite Szene Dritte Szene
Zeltartiges Gemach auf dem Vorderdeck eines Seeschiffes, reich mit Teppichen behangen, beim Beginn... Man blickt dem Schiff entlang bis zum Steuerbord, über den Bord hinaus auf das Meer und den Horizont. Garten mit hohen Bäumen vor dem Gemach Isoldes, zu welchem, seitwärts gelegen, Stufen hinaufführen. Helle,... Burggarten. Zur einen Seite hohe Burggebäude, zur andern eine niedrige...
Erster Aufzug Zweiter Aufzug

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